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in Z. not (Hirnverletzung, Schlaganfall, sonstige erworbene Hirnschäden), H. 2 (2014), 24-27
SNOEZELEN – eine therapeutische Intervention
Snoezelen – ein eigenartiges Wort
Den meisten Personen ist dieses unbekannt, einige Kolleginnen und Kollegen in Förderung und Therapie haben schon einmal davon gehört, können aber inhaltlich kaum etwas dazu sagen. Einen Raum mit vielen Lichteffekten und Ruhemöglichkeiten fällt ihnen womöglich ein, aber sie kennen kein Konzept zur Nutzung dieser Räume.
„Snoezelen“ ist ein Phantasiewort, in dem die beiden Silben „snoeze“ (schnüffeln) und „doeze“ (dösen, schlummern) vereint sind. In den Niederlanden hat man in den 80er Jahren als sog. „Tagesaktivität“ für geistig behinderte Menschen die ersten Räume, ausgestattet mit vielen Licht- und Klangeffekten, zum Ausruhen und Entspannen eingerichtet. Die Eltern der behinderten Menschen spürten, dass diese unterschiedlich ausgestatteten Erholungsräume (taktiler, visueller und auditiver Raum) ihren Kindern gut taten und förderten diese Maßnahme.
Die notwendige Qualifikation zum Snoezelen
Im Rahmen meiner Hochschultätigkeit besuchte ich seit den 90er Jahren mit meinen Sozialpädagogik- und Sonderpädagogikstudenten (Lehramt und Rehabilitation) Snoezeleneinrichtungen in verschiedenen Teilen der Welt, die in den letzten Jahren immer mehr Verbreitung gefunden haben. Die Idee war phantastisch, für eine wirksame Therapie müssen jedoch ein Konzept und eine Methode entwickelt werden, die auf die Bedürfnisse der Adressatengruppen abgestimmt sind. Entwicklungsstufen, Krankheitsbilder, Biografien und soziales Umfeld sowie momentane Befindlichkeiten des Klienten haben Einfluss auf das Snoezelenangebot. Die Räumlichkeiten und die Einstellungen (insbesondere der Licht- und Klangeffekte), die Wahl der Sitz- oder Liegemöglichkeiten, möglicherweise die Anwendung von Aromen, und die Dauer einer Snoezeleneinheit müssen auf den Nutzer abgestimmt sein. Bis heute ist zu beobachten, dass solche Vorüberlegungen bei der Arbeit im Snoezelenraum vielfach keine Rolle spielen. Snoezelenräume sind häufig mit Elektronik überfrachtet und man meint, alle diese Utensilien zur gleichen Zeit anstellen bzw. einsetzen zu müssen. Aktuell besteht auch in Deutschland die Gefahr, Snoezelen mit MSE (Multi-Sensory-Environment) zu verbinden. Die „Umgebung“, der Snoezelenraum, darf aber nicht „multi-sensorisch“ sein, sondern muss kontrolliert werden. Hier ist eher von einem CSE (Controlled-Sensory-Environment) zu sprechen, die Snoezelenfachkraft (der Begleiter) muss im Vorfeld Lichteffekte, Klänge und Musik, Aromen, Orte der Lagerung, Dauer des Angebots und Inhalt auf die zu betreuende Person abstimmen. Das gilt umso mehr für die Klienten, die sich in einer Abhängigkeit befinden wie zum Beispiel solche mit Hirnschädigungen und -verletzungen. Alle drei Faktoren: Informationen über den Klienten und dessen momentane Befindlichkeit, die methodischen Überlegungen der Snoezelenfachkraft und die Vorbereitung des Raumes bilden in dem sog. „Didaktischen Dreieck“ eine Einheit und müssen aufeinander abgestimmt sein.
Es ist zu erkennen, dass für eine erfolgreiche Intervention im therapeutischen, aber auch entwicklungsfördernden und erzieherischen Bereich eine Qualifikation für das Snoezelen nötig ist.
Vermehrt konnten wir in den vergangenen 15 Jahre am Institut für Rehabilitationswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin zur praktischen Umsetzung der Intervention Snoezelen und deren Wirkung forschen. Mit den Studierenden am Institut für Rehabilitationswissenschaften wurden für Kleinkinder bis hin zu Menschen im höheren Lebensalter Konzepte entwickelt, deren Effizienz mit Hilfe von biometrischen Messungen unter der Leitung von Professor Dr. Beate Meffert (Lehrstuhl für Informatik – Signalverarbeitung und Mustererkennung der HU) überprüft wurde. Hierzu entstanden in beiden Fachrichtungen Diplom- und Wiss. Hausarbeiten sowie mehrere praxisnahe Fachbücher zum Snoezelen (vgl. Literaturverzeichnis). Auch in der Dissertation von Dr. Martin Buntrock zur „Wirkung von spezieller Entspannungsmusik im Snoezelenraum“ (Dorsten 2010) wurden diese Messungen angewandt. Die eigens für die Intervention Snoezelen komponierte Musik unterstützt physisch und psychisch den Entspannungsprozess. Insbesondere in der Betreuung von psychisch kranken Menschen, Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma, Menschen mit demenziellen Erkrankungen und solchen mit onkologischen Krankheitsbildern ist der bedürfnisgerecht gestaltete Raum und die richtige Auswahl an Musik ein Teil der Versorgung und Therapie und hat nachweislich einen hohen Ruhe-, Erholungs- und Entspannungswert.
Es reicht nicht aus und ist u. E. unverantwortlich – wie man häufig fälschlicherweise bei dem sog. „freien Snoezelen“ konstatiert – den Klienten ohne Aufsicht und Blick auf seine Befindlichkeit einen Snoezelenraum besuchen zu lassen. Die freizügige Anwendung des Snoezelens hat ihre Grenzen bei Menschen, die sich in geistiger, seelischer und körperlicher Abhängigkeit befinden und auf Hilfe angewiesen sind. Eine seriöse Zusatzqualifikation ist nötig wie sie die ISNA-Snoezelen professional e.V. im In- und Ausland in vier zusammenhängenden Modulen anbietet (vgl. http://www.snoezelen-professional.com/de/ausbildung.html ). Die Snoezelenbegleiter kommen aufgrund des unterschiedlichen Nutzerkreises aus den verschiedensten Berufszweigen, insbesondere der Ergo- und Physiotherapie, der Musiktherapie, der Psychologie und Medizin und weiteren pflegerischen, pädagogischen und medizinischen Fachgebieten. Betreuer von erkrankten und vor allem bettlägerigen Menschen erhalten in Tageskursen einen Einblick in die Intervention Snoezelen und möchten oftmals danach eine Zusatzqualifikation erwerben. In allen Auflistungen der Fachgebiete, die als „multiprofessionelle Therapien“ bei schwersten Schädel-Hirnverletzungen und Wachkoma benannt sind, taucht jedoch Snoezelen nicht auf. Möglicherweise mag das Wort „Snoezelen“ in der Wissenschaft nicht seriös klingen, dieses hat sich aber in den uns bekannten 32 Nationen der Welt, in denen Snoezelen angewandt wird, eingebürgert und man kann diese Bezeichnung nicht so einfach ändern. Snoezelen ist eine effektive und eigenständige Intervention. Voraussetzung ist jedoch, dass Kollegen aus den o. a. Berufszweigen eine Zusatzqualifikation erworben haben und das Snoezelen nicht so „nebenbei“ autodidaktisch anwenden.
Der Snoezelenraum für Menschen mit Hirnverletzungen und -Hirnschädigungen
Nach der intensiven medizinischen Betreuung wird die erkrankte Person noch länger bettlägerig sein. Um einen Transport zu vermeiden, wurden „Snoezelenwagen“ entwickelt, die in dem Zimmer des Patienten platziert werden.
Der Wagen wird an das Bett bzw. die Liegefläche geschoben, häufig kann eine Art Himmel, eine Spanische Wand und/oder ein Moskitonetz die private Atmosphäre schaffen. In diesen Wagen sind optische Geräte wie Farbscheiben, Flüssigkeitsprojektor und Faseroptik eingebaut, die einzeln genutzt werden können und auf den Tüchern (auch weißer Bettwäsche), an den Wänden und der Decke besondere Lichteffekte hervorrufen. Für den Klienten bekannte Bilder können mit Hilfe eines Beamers an die Wand projiziert werden, die von den Begleitern (Angehörige, Pflegepersonal) mit wenigen Worten erläutert werden. Wesentlich ist bei diesem Angebot - vor allem in der Abschlussphase des Snoezelens - der Einsatz von passend ausgewählter Musik. Bei Menschen mit schweren Hirnschäden und –verletzungen und Menschen mit Demenz - begleitet von Gedächtnisverlusten – können eine Fülle an Zielsetzungen verfolgt werden, u. a.
- auf einen Reiz reagieren
- etwas wieder erkennen
- zum Mitmachen animieren
- Freude oder Unbehagen zeigen
- einen Wunsch äußern können (nonverbal/verbal)
- kleinste Bewegungen ausführen
- ruhig werden
- entspannt und gelöst werden.
In der praktischen Arbeit kommen weitere Zusatzgeräte zum Einsatz, die je nach Zielsetzung ausgesucht werden müssen, wie z. B.
- Aromastoffe: Wattestäbchen, Wattepads, geschmacksneutraler Lippenbalsam, Zitronenstäbchen, Aroma Blättchen
- Reinigungsmilch, Massageöl, Bodylotion, Fuß-, Wärme-, Frischebalsam
- Waschlappen, Schwämme, weiche Tücher, Chiffontücher
- Igelball, Massageroller, Noppenball, Softball, Federn
- Massagegeräte, -röhren
- Percussionsinstrumente, Musik-CDs, Klangschalen
- Taschenlampe, Magische Leuchtkugel
- Bilder, Postkarten, Kurzgeschichten
- Stofftiere
- Wärmeflaschen, Decken, Kissen.
Generell sollte man eine Einweisung in das Snoezelen mit Hilfe des Snoezelenwagens erhalten, um auch hier den Klienten nicht mit zu vielen Angeboten/Reizen zu überfordern.
Sobald es der Heilungsprozess ermöglicht, sollte die Intervention in einem Snoezelenraum stattfinden. Die Einrichtung eines speziellen Raumes ist nicht ganz billig, aber eine lohnende Investition. Vor allem in der häuslichen Umgebung kann man behutsam mit wenigen Gerätschaften anfangen und nach und nach die Ausstattung perfektionieren. Das Bett in der Wohnung bildet den Bezugspunkt für die Gestaltung des Raumes. Häufig wird man sich für eine Wassermatratzenauflage oder generell ein Wasserbett entscheiden. Einige Zusatzgeräte – wie oben beschrieben an den Snoezelenwagen montiert – lassen sich in den Wänden installieren. Dieses gemütliche Ambiente tut nicht nur dem zu betreuenden Patienten, sondern auch den Begleitern gut.
Gleichgültig, ob sich die Klienten beim sog. „freien Snoezelen“ im Raum entspannen wollen oder ihnen beim „gezielten Snoezelen“ Therapie- oder Fördereinheiten angeboten werden, vor jeder Einheit sind Vorüberlegungen nötig, um den Raum für die entsprechende Klientel vorzubereiten (hierzu wurden von uns spezielle Fragebögen entwickelt). Es ist Pflicht des Begleiters (Therapeut, Erzieher, Pflegekraft, Angehöriger u. a. m.), den Raum so zu strukturieren, dass sich der Nutzer darin wohl fühlt. Es stellen sich dem Beobachter dann folgende Fragen:
- Hat der Raum die richtige Temperatur? Ist er gut belüftet?
- Sind die Geräte auf den Klienten abgestimmt?
- Ist die Reizdosierung richtig gewählt?
- Kennt man die Vorlieben des Nutzers?
- Hat die gewählte Musik die beabsichtigte Wirkung?
- Lässt man Zeit zur Ruhe, zum Verarbeiten der Reize, zur Entspannung?
- Hat der Klient Gelegenheit, dem Begleiter seine Empfindungen und Wünsche mitzuteilen – kann man feinste Reaktionen erkennen und deuten?
- Hat sich der Begleiter Gedanken über die Art der Kontaktaufnahme und Berührung gemacht?
- Weiß der Begleiter über Belastungen und/oder die Erkrankungen seines Klienten Bescheid?
Das Snoezelen ist eine eigenständige Intervention, die in therapeutische und pädagogische Interventionen integriert werden muss. Generell haben wir in der Arbeit mit Menschen, die unserer Hilfe und Unterstützung bedürfen die Verpflichtung, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich der Klient wohl fühlt. Ausgebildete Fachkräfte können die Intervention Snoezelen wirksam einsetzen, Gefahren der Überstimulation vermeiden und eine Atmosphäre schaffen, in der sich alle Menschen wohl fühlen.
Die Ausbildung zur Snoezelenfachkraft wurde vor 20 Jahren in Seminaren an der Humboldt-Universität zu Berlin begonnen. Sie hat sich nicht nur in Deutschland, sondern im Ausland, vor allem Korea und Japan etabliert. Für das Snoezelen als Intervention benötigt man das spezielle Fachwissen, auch wenn man einen Snoezelenraum aufsucht, um dort „nur“ Ruhe und Entspannung zu finden.
Literatur
Buntrock, M. (2010): Wirkung von spezieller Entspannungsmusik im Snoezelenraum.V. Martin Buntrok, Dorsten
Mertens, K.(2002): SNOEZELEN - ein neues Konzept innerhalb der Betreuung von älteren Menschen - unter besonderer Berücksichtigung einer Demenz. In: praxis ergotherapie 15. Jg. , H. 3, 145-148
Mertens, K. (20042): „Snoezelen“ - eine Einführung in die Praxis. verlag modernes lernen, Dortmund
Mertens, K.; Meffert, B.; Schneider, G. (2005): Forschendes Lernen. Begleitung diagnostischer und therapeutischer Verfahren in der Rehabilitationspädagogik. Ein interdisziplinäres studentisches Projekt. In: humboldt-spektrum (3), 54-58
Mertens, K. (2006): Definition Snoezelen. In: Brockhaus Enzyklopädie. Bd. 25, 429, Mannheim
Mertens, K. (2007): Snoezelen - Zielsetzungen und Anwendungsfelder. In: praxis ergotherapie 20. Jg., H. 2, 60-68
Mertens, K.; Tag F.; Buntrock, M. (2008): Snoezelen – Eintauchen in eine andere Welt. Verlag modernes lernen, Dortmund
Mertens, K. (2009): Snoezelen – ein Angebot zum Wohlbefinden. In: Theunissen, G.; Wüllenweber, E. (Hrsg.): Handlungskonzepte und Methoden in der Heilpädagogik zwischen Tradition und Innovation. Lebenshilfe-Verlag, Marburg, 167-175
Mertens, K. (2012): Burnout und Snoezelen – Hilfe in einem integrativen Handlungskonzept. In: praxis ergotherapie 25. Jg. , H. 5, 202-207
Prof. Dr. Krista Mertens (em.)
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Rehabilitationswissenschaften
ISNA-Snoezelen professional e.V.
Rüdesheimer Str. 4
14197 Berlin